Zimmer frei im Headquarter?
Was ist New Work? Ein neues Mindset? Etwas Architektonisches? Das Ergebnis einer neuen Organisationsweise mit mehr Flexibilität und Eigenverantwortung oder einfach nur ein Modewort? In Offenburg schickt sich die Sevdesk GmbH gerade an, diese Frage neu zu beantworten und lässt bauen. Ein neues Headquarter soll entstehen, gleich neben dem Offenburger Schlachthof, dem Inbegriff von Old Work, aber mit seiner Backsteinornamentik halt auch einfach inspirierend schön, wenn man durch die Dreifachverglasung des 5.500 Quadratmeter großen Neubaus nebendran draufguckt.
Der rasant gewachsene Anbieter von Buchhaltungssoftware aus der Cloud plant bei sich daheim in Offenburg eine Unternehmenszentrale mit Innovationscharakter. Diese richte sich nach den neuesten Erkenntnissen von New Work, Umwelt, Architektur und Energie aus. Das nachhaltige Gebäude sei mit viel Liebe zum Detail gestaltet und soll die „sevIdentity“ genauso innen wie außen erlebbar machen. So soll das neue Headquarter über die Region hinaus als Vorbild für eine positive Arbeitskultur erstrahlen. „Durch Homeoffice und virtuelle Kommunikation wird das Konzept von Arbeits- und Lebensraum zunehmend komplexer und vielfältiger. Und damit auch die Anforderungen, die wir an unseren heutigen Arbeitsplatz haben“, erklärt Co-Gründer Marco Reinbold, von Sevdesk. „Daher kreieren wir im neuen Headquarter ein inspirierendes Arbeitsumfeld mit Lagerfeuermentalität, an dem man sich wohlfühlt und das den dynamischen Austausch fördert. Gerade in der Softwareentwicklung gibt es stressige und zeitintensive Phasen, die uns viel abverlangen. Wir glauben: Je kreativer und diverser die Zusammenarbeit ist, umso motivierter sind die Menschen und umso innovativer die Ergebnisse.“
Co-Gründer Fabian Silberer sagt: „Als Signature-Gebäude repräsentiert der Bau unseren wichtigsten Unternehmenswert: die Individualität unserer Mitarbeiter.“ Er ist überzeugt: „Nur an einem Ort für offene Kommunikation und freie Entfaltung können wir die persönliche Entwicklung und den Teamgeist fördern sowie unseren Cultural Spirit kultivieren und ausbauen.“
Um alle Energie auf die Produktentwicklung zu fokussieren, bieten die oberen Stockwerke Raum, gemeinsam oder allein konzentriert zu arbeiten. In den Dynamic Workspaces und den stillen Fokuszonen stehen Schreibtische und andere Sitzmöglichkeiten zur Verfügung, während die weitläufigen Social Zones zum Think Big animieren sollen. Abgetrennt werden die Bereiche von Säulen in Sevdesk-Rot. Die offene Fehler- und Vertrauenskultur soll mit vielen Glaskonstruktionen sichtbar werden, ebenso wie der Führungsstil der offenen Türen. Um die klassische starre Atmosphäre aufzubrechen, sind die Meetingräume unterschiedlich gestaltet – etwa im Dschungel-Look – und für eine gleichberechtigte Kommunikation mit runden Tischen und modernen Collaboration-Tools versehen. „Kommunikation in erfolgreichen Teams lebt heute von Offenheit und Transparenz. Wissen wird über schnelle, breite Netzwerke aufgebaut, wo jede Mauer stört“, unterstreicht Gitta Blatt, Chief People and Culture Officer, die seit 2022 mit für die Personalpolitik bei Sevdesk verantwortlich ist.
Personalpolitik – das hieß bei Sevdesk lange Zeit Recruiting mit Raketenzündung. Das Unternehmen wuchs und wuchs, daher war der Spatenstich so wichtig. Eine Nachricht in den nationalen Medien setzte 2022 aber erstmals ein Fragezeichen hinter den Wachstumsschub des Offenburger Start-ups: Was, Sevdesk baut Stellen ab? Wurde etwa zu viel gehired in den Jahren bis jetzt, oder was hat das Runterschalten beim Recruiting zu bedeuten? Auch darüber haben wir mit Co-Founder und Co-CEO Fabian Silberer im Interview gesprochen. Unsere erste Frage an ihn aber ist:
๐๐ข๐ ๐ฅ๐ข๐๐ ๐๐๐ฌ ๐๐ซ๐ฌ๐ญ๐ ๐๐๐ฅ๐๐ฃ๐๐ก๐ซ ๐๐๐๐ ๐๐ฎฬ๐ซ ๐๐๐ฏ๐๐๐ฌ๐ค?
Im ersten Halbjahr ist viel passiert: Wir haben uns als Organisation weiterentwickelt und in vielen Bereichen professionalisiert. In Person von Gitta Blatt zum Beispiel haben wir einen erfahrenen Chief People and Culture Officer gewonnen. Sie hebt unser Personalkonzept auf das nächste Level und entwickelt es stetig weiter. Außerdem haben wir unsere Führungsebene im Bereich Technology und Engineering erweitert: Zum einen durch Markus Aeugle, der seit August als Chief Technology Officer an Bord ist, zum anderen durch die Schaffung der Position des Vice President Product, die Josias Zimber seit dem Frühjahr bekleidet. Mit dem Spatenstich für unser neues Headquarter haben wir Anfang August einen weiteren Meilenstein in der Sevdesk-Geschichte erreicht.
Was bedeutet das für das Unternehmenswachstum?
Insgesamt stehen weiterhin alle Zeichen auf Wachstum. In Anbetracht der angespannten Wirtschaftslage schwenken wir nun jedoch auf eine nachhaltigere Vorgehensweise um. Das bedingte auch einige organisatorische Anpassungen, die wir im vergangenen halben Jahr vornehmen mussten. Unser strategischer Fokus liegt mehr denn je auf der Weiterentwicklung des Produktportfolios, denn wir wollen unsere Marktposition weiter stärken, indem wir das Angebot für Sevdesk-Kunden kontinuierlich verbessern. Wir bauen den Bereich Produktentwicklung daher weiterhin in hohem Tempo aus, während wir in anderen Bereichen stärker fokussieren müssen. Nach wie vor sind wir ein gesundes Unternehmen und sehr dankbar, dass wir mit unserem Abogeschäft für Buchhaltungssoftware ein stabiles und profitables Kerngeschäft haben. Darauf können wir uns verlassen. Unternehmen werden immer Buchhaltungssoftware brauchen und der Digitalisierungstrend im Finanzbereich wird anhalten.
Ihr habt viel Geld in Werbung investiert – auch mit eigenen TV-Spots. Hat sich das ausgezahlt? Wie waren die Erfahrungen?
Die TV-Werbung hat uns klar dabei geholfen, unsere Markenbekanntheit stetig zu steigern. Schon 2019 haben wir angefangen, das Medium für uns zu nutzen und haben seither drei verschiedene Spots produziert. Als Software-as-a-Service-Unternehmen lag unser Fokus lange Zeit primär auf dem Online-Marketing. Mit Fernsehwerbung erreichen wir insbesondere auch weniger digital affine Zielgruppen. Fernsehen ist und bleibt ein Massenmedium mit großem Werbepotenzial, aber auch mit hohen Streuverlusten, und entsprechende Maßnahmen lassen sich, verglichen mit denen im Online-Marketing, schwerer im Detail messen. Dennoch ist es ein Medium, das wichtig ist, um Markenvertrauen zu schaffen, und wir werden weiterhin in einem angemessenen Maß auf dieses Medium setzen. Durch die umgesetzten Kampagnen konnten wir viele Erkenntnisse über das Medium an sich und unsere Zielgruppe gewinnen.
Wirken sich die steigenden Zinsen auf die Laune von Investoren und auf die Aussichten eines deutschen Fintech-Start-ups aus? Und wenn ja: Wie?
Die aktuelle Wirtschaftslage hat erhebliche Auswirkungen auf die Start-up- und Fintech-Branche. Zum einen übt die Rezession Druck auf unsere Zielgruppe aus, zum anderen ist das Geld an den Kapitalmärkten knapper und damit auch wesentlich teurer geworden. Für uns bedeutet das, den Fokus auf eine langfristige Balance von Wachstum und Profitabilität zu legen. Sevdesk ist ein gesundes Unternehmen, trotzdem stellen wir uns jetzt auf eine potenzielle Rezession ein. Uns geht es darum, einen Schritt voraus zu sein, egal wie sich die Marktlage entwickelt. Um mit Sevdesk auch in Zukunft einen erfolgreichen Weg gehen zu können, handeln wir proaktiv und setzen auf zwei Themen: Effizienz und Fokussierung. Unser langfristiges Ziel bleibt indes, Marktführer für cloudbasierte Buchhaltung in Deutschland und Österreich zu werden.
Es gibt die Gefahr, dass durch einen drohenden Gasmangel und die hohe Inflation eine Wirtschaftskrise auf uns zukommt. Je mehr Angst die Menschen haben, desto vorsichtiger werden sie. Spürt Ihr das im Neugeschäft?
Erschwerte Finanzierungen und das Ende der Corona-Sonderkonjunktur stellen die Unternehmen vor eine Herausforderung. Auch unsere Zielgruppe – nämlich die der Kleinstunternehmen – agiert defensiver als noch zu Jahresbeginn. Wir merken außerdem, dass die Stimmung auf dem Kapitalmarkt stark vom Krieg in der Ukraine, einer hohen Inflationsrate sowie einer spürbaren Zinswende beeinflusst wird.
Ihr habt unlängst das erste Mal Stellen abbauen müssen. Warum? Und was sind die Hintergründe dieser Entscheidung? Hat das eventuell auch etwas mit einer zu optimistischen Hire-what-you-can-get-Policy zu tun?
Wir sind in den letzten zwei Jahren rasant gewachsen und haben schnell Personal in allen Bereichen aufgebaut – was richtig und wichtig war. Im Hinblick auf das Geschäftsmodell von Sevdesk haben wir die aktuellen personellen Strukturen sorgfältig geprüft. Die Wachstumsbedingungen folgten im letzten Jahr anderen Leitplanken als in diesem. An den ehrgeizigen Zielen von Sevdesk hat sich nichts geändert, jedoch an dem Weg dahin: Wir richten die Organisationsentwicklung neu aus, und das bedeutet, weiter stark in Kernthemen zu wachsen, während wir in anderen Bereichen ab jetzt noch mehr fokussieren.
Welche Bereiche sind das, in denen Ihr zukünftig also noch stärker fokussieren wollt?
Nur wenn wir den Bereich Produktentwicklung stärker ausbauen, können wir ein nachhaltiges Wachstum der Organisation gewährleisten. Denn je besser wir mit unserem Produktangebot aufgestellt sind, desto mehr Umsatz können wir erzielen und desto nachhaltiger können wir wachsen. Genau dadurch aber können nicht alle Kollegen in ihren Verantwortungen bleiben. So eine Situation ist für niemanden einfach, weshalb wir auch einen transparenten und wertschätzenden Weg gewählt haben. Das heißt, wir haben überdurchschnittliche Abfindungen bezahlt, zudem eine Unterstützung durch Coaching und Bewerbungstraining angeboten.
Und was haben diese Entwicklungen Eures Babys für Euch als Gründer bedeutet?
Diese Entscheidung war die schwierigste in der Geschichte von Sevdesk und für uns als Gründer. Denn wir sind unglaublich stolz und dankbar für das, was das ganze Team mit uns in den letzten Jahren geschaffen hat. Genauso sind wir aber davon überzeugt, dass diese Veränderungen Sevdesk langfristig erfolgreich machen werden.
Gewachsen auf Nachfrage: 2021 haben die Sevdesk-Gründer eine Series-B-Finanzierungsrunde abgeschlossen und 50 Millionen Euro eingesammelt, um wachsen und die Nachfrage am Markt bedienen zu können. „Wir möchten den Marktführer bauen“, sagte Fabian Silberer damals im Interview mit Ulf Tietge für die Zeitschrift Kalkül. Die Gründer gaben damals an, in Offenburg bleiben zu wollen und ihre Attraktivität als Arbeitgeber im Gesamtpaket zu erreichen. Unter anderem auch mit dem Zielbild eines eigenen Campus – wie er jetzt in Offenburg entsteht.
Interview: Ulf Tietge