"Wir bleiben unabhängig!"

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Er ist der Mann mit dem Affen: Wolfgang Grupp führt den Burladinger Textilhersteller Trigema mit einem Jahresumsatz von mehr als 110 Millionen Euro seit inzwischen 53 Jahren und hat sein Ja-Wort zum Produktionsstandort Deutschland seit 1990 so oft im Best-Minute-Werbeblock direkt vor der Tagesschau bekräftigt, dass es auch der letzte Affe deutlich gehört hat. Im April 2022 ist der streitbare Vorbildunternehmer 80 geworden. Wir haben nachträglich gratuliert und die Gelegenheit genutzt, den Unternehmer – aber auch den Menschen – Wolfgang Grupp noch ein Stück näher kennenzulernen, als das im Fernsehen möglich ist.

 

 

Herr Grupp, seit Ihrem 80. Geburtstag gibt es Sie auf T-Shirts. Wie kommen Sie damit zurecht, einen Schritt näher zu Elvis Presley, Franz Beckenbauer und Che Guevara aufgerückt zu sein?

 

Diese Einbildung habe ich sicher nicht. Das T-Shirt gab es nur ganz kurzfristig und meine Familie hat mich damit an meinem Geburtstag in Dubai überrascht. Aber es gibt das T-Shirt nicht bei uns im Programm. Solange ich lebe, würde ich das auch nicht zulassen.

 

Aber mal im Ernst: Wenn mein Vater noch lebte und ich ihm erzählte, dass ich Sie heute interviewe, würde er mir kaum glauben oder wäre mächtig stolz. Was ist es Ihrer Ansicht nach, das Sie zu so einer Ikone macht?

 

Das ist deshalb so, weil unsere Welt immer verrückter wird und keiner mehr wagt, das zu tun oder zu sagen, was normal ist. Was ich mache, ist einfach nur normal, nicht mehr und nicht weniger. Auch dass ich in Deutschland produziere. In Burladingen gab es früher 26 Textilfabriken, die Inhaber waren fast alle Millionäre. Sie sind längst verschwunden – erst aus Burladingen und dann von der Bildfläche. Sie haben alle Konkurs gemacht, aber mich fragen die Leute, warum ich in Deutschland produziere? Auch Schiesser, Jockey und so weiter haben sich dem Preisdruck der Kauf- und Versandhauskönige gebeugt, ich dagegen habe nicht mehr geliefert, sondern mir neue Kunden gesucht. Das brachte mich zu den SB-Königen und die Leute sagten: „Jetzt verkauft er unter Preis.“ Dabei wäre es mir am liebsten gewesen, wenn meine Kunden unsere Ware verschenken würden, denn dann bräuchten sie am schnellsten wieder neue.

 

Sind Sie damit gut gefahren?

 

Nach den SB-Geschäften wanderte ich zu den Discountern, bis sie niedrigere Preise wollten und ich festgestellt habe, dass ich in einer bedarfsgedeckten Wirtschaft auch einen Teil der Handelsfunktion selbst übernehmen muss. Deshalb habe ich eigene Testgeschäfte eröffnet sowie vor fast 20 Jahren auch den Onlineshop, mit dem wir die Versandhäuser ersetzen konnten. Heute sind wir so autark, dass wir 80 Prozent über eigene Geschäfte und den Onlineshop verkaufen. Ich habe mir eine gewisse Unabhängigkeit geschaffen. Ich brauche meine Kunden, meine Lieferanten und meine Mitarbeiter alle – aber von einem Einzelnen abhängig zu sein, das gäb’s bei mir nicht. Wenn einer Forderungen stellt, die nicht zu verantworten sind, muss ich auf ihn verzichten können! Und wenn ich meinem Kunden keinen Vorteil mehr biete, bin umgekehrt ich austauschbar.

 

Sie sind bekannt für Ihre Prinzipien. Aber am Ende macht Wolfgang Grupp auch nur das, was funktioniert, oder? Die aus den USA kopierten Batikshirts 1969, der Weg vom Versandhaus über die Discounter zum Onlinehandel und die Corona-Masken 2020 ...

 

Das hoffe ich doch, dass ich immer das mache, was funktioniert! Wenn ich es mal anders mache, muss ich es aufgeben oder es so ändern, dass es funktioniert. Gemeinsam mit meinen Mitarbeitern. Denn ich brauche meine Fachleute, ich muss nur den Anstoß geben. Gemeinsam sind wir schnell und anpassungsfähig. Als Corona kam und wir Masken liefern sollten, haben wir es getan und es genauso schnell wieder aufgegeben, nachdem China wieder günstiger liefern konnte. Meine Mitarbeiter dürfen übrigens alles entscheiden, auch ohne Absprache – müssen aber dann auch die Verantwortung dafür übernehmen! Deshalb fragen wir uns generell gegenseitig.

 

Vor ein paar Wochen machte Roland Mack vom Europa-Park Schlagzeilen mit seiner Verwunderung über die sinkende Arbeitsmoral der jungen Generation. Welche Erfahrungen haben Sie zu dem Thema gemacht?

 

Wir spüren das auch. Zu uns kommen die Leute und sagen: „Ich will nur 20 Stunden arbeiten und nur das und das machen, weil mir alles andere zu schwer ist ...“ Wir stellen bald jeden ein, der nur einigermaßen vernünftig ist.

 

Wolfgang Grupp (900 x 600 px) (1)

 

In der Vergangenheit haben Sie Anstand und Fairness im Umgang mit Mitarbeitern als Voraussetzung für eine starke Belegschaft beschrieben. Fairness ist klar. Von Anstand spricht heute kaum einer mehr – was ist Anstand?

 

Generell müssen Sie wissen: Ich bin kein Sozialsäusler. Ich bin Egoist und will Geld verdienen. Nur habe ich sehr schnell festgestellt: Je besser ich meine Mitarbeiter behandle und je fairer ich zu ihnen bin, desto mehr leisten sie und desto mehr Freude haben sie bei der Arbeit und helfen mir. Ich kann mir sicher sein: Wenn ich am Sonntagmorgen ein Problem hätte, würden mir die ersten drei Mitarbeiter, die ich anrufe, helfen, ohne lang zu fragen!

 

Ich habe noch ein Wort mitgebracht: New Work. Neue Arbeitsstrukturen wie den Großraum haben Sie schon in den 70ern eingeführt, andere bis heute lautstark abgelehnt ...

 

Zunächst zum Thema Homeoffice: Das kann ich nicht. Wir leben von schnellen Entscheidungen und im Homeoffice dauert alles zehnmal länger. Zum Großraumbüro: Nach zwei Jahren in der Firma habe ich damals die Wände eingerissen, weil ich es nicht aushielt: Wenn ich jemanden anrief, nahm er nicht ab, und wenn ich daraufhin in sein Büro ging, war er nicht da. Das schafft Leerlauf und den ertrage ich nicht. Trotzdem waren alle dagegen, wollten Wände – und ich sagte: „Sie kriegen eine Wand, aber aus Glas“, die aber später niemand wollte, weil das Großraumbüro viel angenehmer und großräumiger war!“ Noch so eine Sache sind Telefontermine: Ich weiß nicht, was die sollen. Wenn die Sekretärin einer anderen Firma meine Sekretärin anruft und fragt, ob ihr Chef mich morgen anrufen kann, dann frage ich: „Warum ruft er mich denn nicht gleich an?“ Wir machen uns das Leben nicht selten sehr kompliziert!

 

Beschreibt das Ihr Verhältnis zu den Trends und Moden unserer Gesellschaft schon vollständig? Ein weiteres Modewort wäre Nachhaltigkeit ...

 

Wir haben ständig neue Wörter, sprechen von Start-ups und solchem Zeug, dabei ist das nichts Neues. Nach dem Krieg hatten wir doch lauter Start-up-Unternehmer, die hießen damals nur Gründer und haben das Land mit Verantwortung und Haftung aufgebaut. Das Wirtschaftswunder ist von lauter persönlich haftenden Unternehmern geschaffen worden. Heute meinen die Start-up-Unternehmer, dies mit GmbHs zu versuchen. Geht es gut, wird kassiert, geht es schlecht, wird der Bettel hingeschmissen. Deshalb müssen wir wieder zurück zur persönlichen Haftung, dann sind die Entscheidungen überlegter und vor allem nicht der Gier und dem Größenwahn ausgesetzt! Und genauso wie mit Start-up-Unternehmen und Gründern ist es auch mit der Nachhaltigkeit: Ich brauche nicht erst ein Wort dafür, bevor ich etwas anerkenne und danach handle. Cradle to Cradle, den Ansatz zur Kreislaufwirtschaft, habe ich als einer der Ersten verfolgt. Als der Chemiker Professor Braungart mir davon erzählte, sagte ich sofort: „Das ist zukunftsorientiert.“ Denn ich will doch nicht hintendran sein. Wir müssen Probleme lösen, solange sie klein sind, und nicht erst, wenn es uns wegschwemmt oder austrocknet. Wer ein Problem groß werden lässt, hat versagt.

 

Es gibt ein Zitat von Ihnen: Mitarbeiter auf der Arbeit und Menschen in der Gesellschaft müssten das Gefühl bekommen, gebraucht zu werden. Inwiefern findet sich dieser Antrieb auch in Ihrer Geschichte von 1969, als Sie Trigema übernahmen, bis heute?

 

Bevor ich 1969 übernahm, hab ich in Köln studiert und mich sonst nicht in die Firma eingebracht. Also musste ich es mir erst verdienen, dass die Leute sagten: „Na, ganz so blöd ist der nicht.“ Zu der Zeit fertigten wir Unterwäsche, Doppel- und Feinripp. Erst ich habe das T-Shirt eingeführt – und plötzlich war ich anerkannt, weil es eine riesige Nachfrage gab. Dadurch erarbeitete ich mir die Anerkennung, und das war doch toll. Anders ausgedrückt: Meine Mitarbeiter brauchten mich, weil ich Ihnen die Aufträge brachte. Alle gemeinsam waren wir stolz, Trigema zu sein. Wenn Sie morgen in den Betrieb kommen und nach mir fragen und meine Mitarbeiter sagen „ist doch egal, wo der ist“, dann wäre das fatal. Gebraucht-Werden ist das Schönste im Leben. Ich zum Beispiel brauche meine Familie im Unternehmen.

 

Sie starteten mit einem Schuldenberg. Wie war das?

 

Als Student nahm ich die zehn Millionen Mark Bankschulden erst gar nicht so ernst. Dann kam ich zurück und sah, wie es war: Mein Großvater hatte das Wort Kredit seinerzeit nicht gekannt. Mein Vater aber hatte Diversifikation betrieben – man brauchte nicht eine Firma, man brauchte Firmen, dann war man jemand. Und diese Firmen ließ man führen, man führte nicht selbst. Weil ich das mit anschauen musste, bin ich in dem Punkt ein bisschen anders: Das gibt es bei mir nicht! Ich führe die Firma selbst; und wenn hier ein Problem ist, dann bin ich verantwortlich. Hinter den Kulissen hieß es damals: Jetzt soll der aus Köln – gemeint war ich – mal kommen und auch mal was machen. Ich kam, machte das T-Shirt, zahlte 1975 die Bankschulden zurück und habe seither nie wieder mit einer Bank über auch nur einen Euro Kredit gesprochen.

 

Haben Sie eine Kreditallergie oder warum brauchen Sie kein Fremdkapital?

 

Das liegt an der schwäbischen Art: Ich kaufe nur, was ich mir leisten kann. Wenn ich einen Hubschrauber fliege, ist der bezahlt. Wenn ich ihn mir nicht leisten kann, fahre ich Auto, Zug oder gehe zu Fuß. Eine Kreditallergie ist nicht das Thema, sondern die Unabhängigkeit!

 

 

Interview: Thomas Glanzmann