
Der Löwe
Den Ortenauer Architekten und Unternehmer Jürgen Grossmann für ein Interview zu gewinnen? Kein Problem. Nur darf man dafür keinen Konferenzraum erwarten – sondern muss einfach mal zwei Stunden Schritt halten mit einem Mann, der auf Konventionen großzügig verzichtet. Also geht es mit dem Mikrofon im Anschlag per Motorboot nach Straßburg, um dem Geheimnis dieses Unternehmers auf die Spur zu kommen, dessen Persönlichkeit so viele Facetten hat, dass er schillert ...
Jürgen, wie genau fing das mit der Grossmann Group an, damals 1990?
Eigentlich ging es schon früher los. Mit 15 hatte ich eine Lehre als Bauzeichner gemacht und mir war schnell klar: Mit so einem Chef werde ich nicht glücklich. Also holte ich das Abi nach, wurde Architekt und mein eigener Chef.
Nur hat dich damals niemand gekannt.
Bei mir gibt es dahinter eine Geschichte: Meine Eltern hatten sich ein Haus gebaut, bevor ich Architektur studiert habe. Dafür hab ich Wände gemauert, Fliesen gelegt, die Bäder – was halt ging. Das hat sich herumgesprochen. So kam der erste Kunde und meinte, er habe da so eine Wohnzimmerdecke, die hätte er gern neu gemacht.
Klingt nach ganz klassischer Mund-zu-Mund-Propaganda ...
Eins führte zum anderen. Später kam ein Freund vom Freund, der wollte ein Haus mit seinem Zwillingsbruder bauen. Mein erstes Projekt als Architekt, noch vier Jahre vor meinem Diplom. Aber ich hatte Glück: In „Architektur & Wohnen“ gab es gleich eine Veröffentlichung ...
Du hast sehr bald auf zwei Standbeine gesetzt, nämlich auf Architektur und auf Interior Design. Warum?
Man sollte Architektur und Innenarchitektur nicht trennen. Das war früher ja auch nicht so, da haben Architekten Möbel und Stoffe entworfen. Egon Eiermann zum Beispiel auch noch in seinen späten Jahren. Erst mit der industriellen Herstellung von Möbeln hat man angefangen, diese Bereiche zu trennen, und ein Innenarchitektur-Studium entwickelt, das es bis dato nicht gab. Meine Laufbahn hat mit lauter Interior-Projekten angefangen, und dann kamen Kunden, die sagten: „Wir würden noch ganz gern unser Wohnzimmer einrichten, brauchen eine neue Couch, ein paar Leuchten.“
Die du aus dem Hut gezaubert hast?
Ich bin als Student schon jedes Jahr nach Mailand auf die Messe gefahren, habe auf dem Campingplatz am Comer See übernachtet, weil ich mir kein Hotel in Mailand leisten konnte. Oft hatte ich das Problem, dass ich nicht an die Messestände gelassen wurde, weil man mir angesehen hat, dass ich noch Student war. Aber es gab auch andere und bei denen habe ich dann eingekauft.
Magst du deine alten Entwürfe noch oder sagst du: „Das ein oder andere hätte ich aus heutiger Sicht anders machen sollen ...?“
Nein, ich mag die sehr. Das Zwillingshaus ist heute so gültig wie damals, auch wenn sich mein Stil im Lauf der Zeit geändert hat: Am Anfang war ich sehr streng mit mir selber, klebte sehr an den Regeln, die man mir beigebracht hatte. Im Laufe der Jahre konnte ich mich davon lösen. Für mich war es schön, dass ich meine Architektur – für mich so etwas wie meine Sprache – um neue Möglichkeiten erweitert und neue Formen entdeckt habe. Ich habe mich irgendwann vom rechten Winkel gelöst, von geraden Wänden und angefangen, wirklich frei zu entwerfen.
Hast du damals schon an so etwas wie einer Marke, einer Handschrift gearbeitet?
Ich habe nie an einer Marke gearbeitet. Es gibt Architekten, wo du sagst: „Alles, was die machen, sieht gleich aus.“ Es gibt auch viele Leute, die sagen: „Das sieht aus wie ein Grossmann.“ Manchmal zeigen sie mir dabei Projekte, bei denen ich einen roten Kopf bekomme, weil sie in hundert Jahren nicht von mir sein könnten. Aber es ist halt weiß und modern und dann denken sie, es ist vom
Grossmann, weil ich tatsächlich einer der Ersten war, der in dieser Konsequenz in der Region modern gebaut hat.
Wer hat dich in dieser Zeit begleitet? Gibt es diese Menschen noch in deinem Leben?
Nein. Die ersten zehn Jahre meiner Karriere war niemand länger bei mir als für zwei Jahre. Über das Warum will ich jetzt gar nicht spekulieren. Ich glaube schon, dass es auch an mir lag: Ich hatte einen hohen Anspruch, bin ein hohes Tempo gegangen und wenn jemand nicht mitgezogen hat, wurde es ungemütlich ...
Warst du nur ungeduldig oder auch richtig cholerisch?
Alles.
Du hast geschrien, getobt, gewütet?
Alles. Ich kann cholerisch werden, ich mag es aber trotzdem nicht, wenn man mich als einen Choleriker bezeichnet. Aber das kommt immer seltener vor, eigentlich fast gar nicht mehr.
Wie hast du die Bauherren gefunden, mit denen du typisch Grossmann bauen und planen konntest?
Das haben mich Kollegen damals auch immer gefragt, wo ich denn bitteschön meine Bauherren herbekomme. Denn damals wollte kaum jemand Häuser mit Flachdach oder fragte nach was Modernem im Bauhaus-Style. Das war unüblich. Meine Kollegen haben nicht verstanden, dass ich mir meine Bauherren quasi selbst gemacht hab’. Dass ich so lange mit Bauherren gearbeitet hab’, bis sie überzeugt waren von dem, was ich tue und mir vertraut haben.
Aber auch das hat dich nicht davor bewahrt, Mitte der 1990er-Jahre kurz vor dem Ruin zu stehen ...
Ich hatte 1995 und 1996 eine ganz schwere Zeit, weil ich auf dem falschen Weg war. 1990 hatte ich zwei Unternehmen gegründet – das Architekturbüro und ein Einrichtungshaus. Das Einrichtungshaus hat super funktioniert und ich habe gutes Geld verdient, deutlich mehr als mit der Architektur. Damit konnte ich mir auch die Geduld in der Architektur leisten. Also dachte ich: „Mensch, das ist toll, da machst du noch einen zweiten Laden auf.“ Das war in Offenburg. Leider lief der suboptimal. Aber weil ich dachte: „Gut, der dritte wird dann wieder besser“, habe ich noch einen aufgemacht, in Baden-Baden. Dadurch lief alles komplett aus dem Ruder. Ich war nicht mehr kreativer Architekt, nicht mehr Gestalter, sondern nur noch jemand, der sich mit Problemen beschäftigen musste. 1996 war ich dann pleite.
Wie pleite war „pleite“?
Komplett pleite. Wirklich. Ich hatte fast eine Million Schulden. Aber ich habe es geschafft, ohne Insolvenz aus der Nummer selber wieder herauszukommen.
Und wie? Was hat dich wieder auf die Beine gebracht? Eine Million zurückzuzahlen, ist für viele unmöglich ...
Es war für mich schon eine schlimme Zeit. Ich bin morgens aufgewacht und erst noch eine Stunde oder zwei im Bett geblieben, weil ich wusste: Sobald ich den Kopf vor die Tür strecke, haut irgendeiner drauf – von rechts, links, oben, unten. Bis heute habe ich noch so ein Trauma, dass ich zum Beispiel die Post nicht gern öffne, weil da damals meistens nur Scheiße drin war. Ich guckte also Fernsehen. Arabella Kiesbauer. Da interviewten sie einen, der sagte, es gehe ihm schlecht, er habe wahnsinnig viele
Schulden, sehe keinen Ausweg mehr. Ich dachte: „Mensch, dem geht’s wie mir! Es gibt noch mehr so Leute!“ Irgendwann haben sie ihn gefragt, wie viele Schulden er denn hat. Er sagte: „19.000 Mark.“
Überschaubar...
Genau. Und da hab’ ich mir gesagt: „Jetzt habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder gebe ich Vollgas oder bringe mich gleich um.“ Ich entschied mich für Vollgas. Und ich hab’ weitergemacht, womit ich angefangen hatte: Architektur und Innenarchitektur. Das war 1996 und es war ein Reset-Schalter. Zwei Jahre später war ich dann in Abu Dhabi und habe angefangen, für die königliche Familie zu arbeiten ...
Wie bitte kommt man denn bitte nach Abu Dhabi und arbeitet plötzlich für die Scheichs?
Damals wusste noch keiner, wo oder was Abu Dhabi ist. Ein Freund aber hatte Kontakt zu Dr. Tamer Salameh, Professor des Scheichs Tahnoun bin Zayed Al Nahyan, dem siebten Sohn des damaligen Königs. Mein Kollege rief mich also an und sagte: „Ich habe da jemanden mit Kontakten nach Abu Dhabi. Interesse?“ Ich sagte: „Na logisch!“ Er sagte, er melde sich – aber ich habe ein Vierteljahr nichts gehört. Dann ruft er an und fragt: „Wie sieht’s aus, bereit?“ und ich: „Jaja, klar.“ Danach habe ich wieder ein Vierteljahr nichts gehört, bis er wieder anruft und sagt: „Da ist ein Herr Dr. Tamer Salameh. Der kommt bei Ihnen vorbei und sie müssen ihm erklären, was wie wo und so...“ Der erste Termin platzte, der zweite, der dritte. Aber irgendwann tauchte er tatsächlich auf und schaute sich unser Büro an, damals in Bühl in einer alten Karosseriebauhalle. Ich zeigte ihm ein paar Projekte. Durchdesignt von A bis Z. Das hat ihn beeindruckt und er hat an diesem Sonntag gefragt, ob er am nächsten Tag wiederkommen könne.
Du weißt den Wochentag noch? Nach über 20 Jahren?
Klar, so was vergisst man doch nicht. Er kam übrigens wirklich wieder und fragte, ob ich Interesse hätte und ließ sich meine Faxnummer geben. Dann ging es los und auf einmal kam Rolle um Rolle. Dieses Thermopapier von damals. Blatt um Blatt ging es um das Büro von Scheich Tahnoun.
Und dann?
Wir wollten die Chance unbedingt nutzen, haben alle Telefone abgeschaltet, um nicht gestört zu werden. Drei Tage haben wir nichts anderes gemacht, als an drei Entwürfen zu arbeiten. Salameh kam, schaute es sich an und sagte, er nehme das jetzt mit nach London und melde sich wieder.
Hat er das?
Ja, gleich am Freitag. Ich also nach London, in das Hotel, von dem er gesprochen hatte, und traf zum ersten Mal in meinem Leben jemanden mit Dischdascha-Hemd. Einen echten Scheich. Wir setzten uns hin, tranken einen Kaffee. Dann klingelt das Telefon, er geht dran, legt wieder auf und sagt: „Okay, es war schön, dass du da warst.“ Ich hab’ gedacht: „Will der mich jetzt verarschen? Ich bin nach London geflogen, um eine Viertelstunde Kaffee zu trinken?“ Aber das war’s tatsächlich. Als ich wieder heimgeflogen war, klingelt das Telefon. Tamer Salameh: „Kannst du am Dienstag nach Abu Dhabi kommen?“ Da habe ich schon gedacht, der sei nicht ganz dicht. Aber gut: Eine Stunde später kam die Special Permission vom King und am Dienstag flog ich. Er zeigte mir das Projekt, um das es ging, das Büro für Scheich Tahnoun mit etwa 200 Quadratmetern. Lounge, großer Besprechungsbereich, Schreibtisch.
Wie lange ging dieses Abenteuer in Abu Dhabi?
Ich habe für den Scheich danach noch ein Ferienhaus geplant. 3.500 Quadratmeter Wohnfläche, dazu ein fast ebenso großes Gästehaus. Direkt an der Küste. Tolles Projekt – das Modell habe ich heute noch bei mir im Office. 2005 ging ich wieder nach Abu Dhabi, eröffnete ein Büro, mit dem wir eine unlimited license hatten, mit der man Hochhäuser praktisch ohne Höhenbeschränkung bauen darf. 2008 unterschrieb ich in London zwei Verträge für zwei Hochhäuser, jeweils 50 Millionen Dollar Bausumme. Aber als nach der LehmanBrothers-Nummer mein erster Scheck in Höhe von 200.000 Dollar geplatzt ist, hatte ich keine Lust mehr. Ich habe mir gesagt, jetzt reicht’s und für mich entschieden, dorthin maximal noch in Urlaub zu gehen.
Eine gute Entscheidung?
Auf jeden Fall. Auf einmal ist meine Karriere hier durch die Decke. Ich war natürlich vorher schon ein bisschen hier, ein bisschen da, ein bisschen München, ein bisschen Abu Dhabi ...
Hat es geholfen, dass du ein weitgereister Architekt warst?
Ich glaube, dass die Menschen schon ein bisschen anders auf mich geschaut haben, weil ich eben dort war. Was genau ich da mache, wusste ja keiner. Mich als Mensch aber hat es auf jeden Fall vorangebracht.
Du bist eine Type, ein Macher. Kommt man damit am Golf durch? Man denkt
ja, dort mag man eher die Ja-Sager ...
Dem Scheich war ich wurscht. Er redet auch mit und guckt sich was an, aber eigentlich hat er relativ wenig eigene Meinung zu den Themen. Seine Leute sind es, die das dominieren. Ob ich ein Macher bin oder nicht, hat der Scheich gar nicht mitbekommen.
Der große Durchbruch gelang dir in Kehl. Nicht direkt mit Architektur, sondern als Projektentwickler mit der fixen Idee, einen Bahnhof zu kaufen.
Na, ich war halt auf der Suche nach einem neuen Büro! Ich wollte ein Gebäude, mit dem ich mich identifizieren kann. Wie damals das erste Büro, die frühere Lackierhalle einer Autowerkstatt. Keine Wärmedämmung und nix – aber ich habe mich da wohlgefühlt.
Brauchst du inspirierende Orte, um kreativ zu sein?
Was ich brauche – und deshalb habe ich es auch mein ganzes Leben lang gemacht –, ist Reisen. Dabei geht es mir nicht um klassischen Urlaub oder darum, nur am Strand zu liegen, sondern: Wenn ich reise, bin ich wie ein Schwamm. Erst komplett ausgetrocknet, ausgedörrt. Dann reise ich los und wenn ich zurückkomme, ist der Schwamm voll mit Ideen, Konzepten, Energie. Ich lasse mich inspirieren. Ohne Reisen wäre ich heute sicherlich nicht das, was ich bin.
Aber auch auf Reisen kommt man nicht zwangsläufig auf die Idee, einen Bahnhof zu kaufen, nur weil man ein Büro sucht ...
Das war auch nicht meine Idee. Kehls Wirtschaftsförderer zeigte mir die Immobilie. Alles versifft, runtergekommen, eine wirkliche Ruine. Und in dieser Bruchbude zeigte man mir die alte Bahnhofsgastronomie. Irgendwie kamen wir auch auf den ganzen Bahnhof zu sprechen und der Wirtschaftsförderer sagte mir, dass die Stadt den kaufen wolle. Am nächsten Tag war ich zufällig bei der Bahn in Karlsruhe. An der Wand hingen Pläne vom Bahnhof. Eine Unterführung sollte entstehen, um die Stadt mit der Kaserne zu verbinden. Als wir unser Thema durchhatten, sagte ich: „Ihr verkauft den Bahnhof an die Stadt ...“ „Wie? An die Stadt verkaufen wir nix.“ „Aber ich habe das gestern noch gehört.“ „Die Stadt hat abgesagt. Kein Geld.“ „Aber wollt ihr den Bahnhof verkaufen?“ „Na klar!“ Also fragte ich, was der denn kosten soll und so fingen wir an zu verhandeln.
Und was hat er gekostet?
Geld, Mut und viele gute Ideen. Ich hatte Jahre zuvor für einen Kunden in Heidelberg gearbeitet. Lauter extrem schwierige Umbauten, bei denen es darum ging, mit wenig Geld viel zu erreichen. Das hatte ich eigentlich immer ganz gut hinbekommen, denn mein Kunde ist immer vermögender geworden und ich war der Arsch vom Dienst. Am Schluss konnte ich froh sein, wenn ich mein Honorar bekam. Das hat mich angekotzt – aber auch geprägt! Aber ich hatte keine Chance, das Geschäft selber zu machen, denn ich hatte als Architekt im Studium gelernt, wie man die Welt verbessert, aber nicht, wie man Geld verdient. Also dachte ich bei dem Bahnhof: Das Projekt könnte eine Chance sein. Also lud ich meinen Heidelberger Freund ein und zeigte ihm drei Projekte. Ich sagte ihm: „Das könnte ich kaufen, das und das.“ Bei zwei Gebäuden ging er nicht drauf ein, aber beim Bahnhof sagte er sofort: „Das musst du machen!“ Ich hatte gar nicht damit gerechnet, aber er sagte: „Sensationell. Unbedingt kaufen!“ Dafür danke ich ihm heute noch.
Wer war das?
Georg Glatzel. Ich habe den Bahnhof also tatsächlich erworben und mit dem Steuerberater einen ganz genauen Businessplan gemacht: welches Geschoss für welchen Mietpreis denn anzubieten sei, was wie schnell zu vermieten sei und so weiter. Aber es stimmte gar nichts – weder die Miethöhe noch die Zeitschiene. Unser Plan sah vor, dass es zwei Jahre dauere, bis alles vermietet sei und wir rechneten mit sieben Euro im Erdgeschoss. Ich hatte am 12. November gekauft und am 24. Dezember war die letzte Fläche vermietet. Aber nicht für sieben Euro, sondern für zwölf.
So erfolgreich du mit dem Bahnhof Kehl warst – in Offenburg hat man dich nicht zum Zug kommen lassen und bis heute ist der Bahnhof eine Problemzone der Stadt.
Das war eine frustrierende Geschichte, vor allem weil wir zu 80 Prozent schon mit der Planung fertig waren. Inzwischen haben wir nördlich vom Bahnhof 80.000 Quadratmeter Gelände von der Aurelis gekauft. Die ersten 45.000 haben wir erfolgreich entwickelt, mehr als 50 Millionen Euro sind dort investiert worden. Ein Hotel ist entstanden, 50 Reihenhäuser, Geschosswohnungsbau und Gewerbeeinheiten. Als Nächstes planen und bauen wir das neue Verwaltungsgebäude für die Bundespolizei.
Du sprichst immer von wir. Ist das der Pluralis Majestatis?
Von wegen! Ich meine damit meine Partner und mich, denn die allermeisten Projekte machen wir gemeinsam. Sami Hadi und Svet Ivanoff sind vor 20 Jahren zu mir gestoßen und gemeinsam sind wir einfach gut. Sami zum Beispiel hat vom Start weg mein Büro verändert. Er ist für mich die optimale Ergänzung, denn er ist Architekt mit Leib und Seele und ihm geht es immer um die Ausführung.
Wie meinst du das?
Wenn ein Kunde zu uns kommt und sagt: „Herr Grossmann, was für eine Farbe soll ich nehmen?“ Dann frage ich: „Wie meinen Sie das?“ „Soll ich Dispersion oder Latex oder Mineralfarbe nehmen?“ Dann sage ich: „Fragen Sie den Hadi.“ Der gleiche Kunde geht zu Sami und fragt: „Herr Hadi, was für eine Farbe soll ich nehmen?“ Dann fragt er: „Wie meinen Sie das?“ Der Kunde fragt: „Soll ich Grün oder Rot oder Blau oder Gelb nehmen?“ Und der Hadi: „Fragen Sie Grossmann.“ Mit anderen Worten: Mir ist es scheißegal, ob das Mineral oder Latex oder Dispersion ist. Mir ist es wichtig, dass die Farbe für meinen Entwurf, für meine Gestaltung stimmt. Dem Sami ist es einfach wichtig, dass die richtige Farbe auf der Wand ist, damit sie richtig hält und das Ganze technisch in Ordnung ist. An der Stelle haben wir uns ergänzt und an der Stelle hat sich auch die Qualität des Architekturbüros deutlich erhöht.
Lass uns zurück zur Architektur kommen. Ist Corporate Architecture für die Corporate Identity eines Unternehmens wichtig?
Na, absolut! Wenn ich an gewerbliche Architektur denke, versuche ich schon immer, Formen zu entwickeln. Es gibt Architekten, die das viel deutlicher leben. Zum Beispiel ein Philippe Starck. Der macht Gebäude, die sind schon fast nicht mehr als Architektur funktional, sondern einfach Formen. Das geht nur bei außergewöhnlichen Projekten von außergewöhnlichen Bauherren. In der Liga eines Philippe Starck habe ich nie geboxt. Aber ich habe immer versucht, Statements zu hinterlassen. Dass uns das gelingt, sieht man daran, dass die Gebäude immer vorn auf Prospekten sind – oder heutzutage auf Websites. Ich will, dass meine Architektur bei den Menschen Emotionen auslöst und glücklich macht.
Da ist das Ding! Jürgen Grossmann (Bildmitte) und sein Partner Svet Ivanoff mit dem Ortenauer Marketingpreis, den sie für den von ihnen ins Leben gerufenen Badischen Architekturpreis erhalten haben. Das Konzept dafür: von der Offenburger Agentur team tietge, die Grossmann seit jetzt 12 Jahren begleitet
Dein inzwischen bekanntestes Projekt ist das Europäische Forum am Rhein, das anfangs illusorisch war. Wieso hat dich davon nichts abbringen können?
Weil es einzigartig ist. Allein schon die Lage! Als die Gemeinde auf mich zukam und mich fragte, ob ich das Projekt realisieren kann, habe ich schon gespürt, dass es aufgrund des politischen Willens möglich sein würde. Wenn es meine private Idee gewesen wäre, hätte ich es nicht weiterverfolgt. So aber bestand zumindest mal theoretisch die Möglichkeit. Der Platz selbst – und das betone ich noch einmal in der Hoffnung, dass es möglichst viele Naturschützer hören – war vorher ein Lkw-Stellplatz. Ich habe keine grüne Wiese zerstört, kein Naturschutzgebiet planiert, sondern ein Fernfahrerklo überbaut. Wer das nicht glaubt, kann gerne einfach zu mir kommen, dann zeige ich ihm ein paar Fotos.
Sollte es von vornherein so werden oder hast du umgeplant?
Ich habe unendlich oft umgeplant. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie viele Varianten wir gezeichnet haben. Als wir am Anfang planten, gab es das Theater Eurodistrict BAden ALsace noch gar nicht. Das kam erst dazu und damit auch massive Gegenwehr aus Offenburg, die ihr Theater nicht ziehen lassen wollten. Und die Kehler sahen ihren Einzelhandel gefährdet. Ein superlanger Prozess, den ich im Nachhinein einfach als solchen akzeptiere.
Trotzdem ist das Forum am Rhein etwas, mit dem du anders als zuvor in der Öffentlichkeit standst. Angekommen in einer Welt, in der jeder in den sozialen Medien Hate Speech frei verbreiten kann. Was machte das mit dir?
Über Monate habe ich mein Leben dadurch verbessert, dass ich Facebook und Instagram gestrichen habe. Man muss halt verstehen: Bei bis zu 6.000 Besuchern am Tag gibt es auch mal vereinzelt unqualifizierte Kritik. Das ist normal, das ist okay, aber es ärgert mich. Ich schaue mir gern konstruktive Rezensionen über unsere Projekte im Internet an. Wenn ich da Dinge sehe, die bei uns nicht in Ordnung sind, handle ich auch.
Du hast dich in 30 Jahren vom ambitionierten Architekten zum erfolgreichen Immobilien-Unternehmer entwickelt. Es gibt Menschen, die sagen würden: „Gut, jetzt reicht’s.“
Ich habe eine tolle Familie mit einer unglaublichen Frau und zwei großartigen Jungs. Das hält mich jung. Bei den meisten Kollegen in meinem Alter kommen jetzt langsam die Kinder ins Geschäft und sagen: „Papa, du könntest mal in Rente.“ Bei mir ist das ganz anders: Meine sind gerade erst in der Schule. Aber ich möchte natürlich, dass meine Kinder stolz sind auf ihren Papa und eines Tages sagen: „Das hat der Papa gemacht, das da, das auch, und seinetwegen wurde das da nicht abgerissen.“ Ich hoffe also, dass ich da etwas hinterlasse, was positiv ist für meine Familie. Wir sind im Moment nach wie vor sehr erfolgreich und selbst für Projekte, die manchmal als schwer gedeutet werden, finden wir gute Lösungen. Es macht einfach Spaß, so etwas weiterzumachen.
Deine Frau Mila ist auch Architektin ...
Und ich habe sie kennengelernt, weil sie bei uns gearbeitet hat. Ein absoluter Glücksfall. Sie hatte in Karlsruhe Architektur studiert und war dann in Bulgarien. Damals suchten wir öfter Leute in Bulgarien, denn bei uns in der Gegend findest du ja kaum Architekten. So kam Mila zu uns ins Büro. Auch Svet ist Bulgare – und so ergab sich dieses Netzwerk: Svet machte Stellenausschreibungen in Bulgarien, ab und zu flog ich mit ihm hin. Wir guckten uns zehn Leute an, stellten einen oder zwei davon an. So kam auch Mila zu uns und was daraus geworden ist, sieht man ja: Ich liebe sie sehr!
Man hat spüren können, wie dich Mila und die Kinder verändert haben: Auf einmal war eine Grundzufriedenheit spürbar und eine neue Fokussiertheit.
Es hat mein ganzes Leben verändert, ihm eine Sinnhaftigkeit gegeben, von der ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Das kann man mit Worten schwer beschreiben. Ich weiß heute, wofür ich das alles gemacht habe und warum ich es heute noch mache. Das motiviert und ich geb’ gern zu: Meine Frau gibt mir unendlich viel Kraft. Denn mein Leben ist immer noch sehr in Bewegung – ich bin heute in Straßburg, morgen auf Mallorca, nächste Woche bei Ben van Berkel in Amsterdam und übernächste Woche bei der Expo Real in München. Ich finde es schön, dass Mila dabei ist und mich auch sehr gut berät. Ihre Menschenkenntnis ist um einiges besser als meine. Ebenso frage ich sie oft in strategischen Dingen, wie sie vorgehen würde und ich würde sagen: Wir sind da ein ganz gutes Team.
Denkst du dynastisch? Werden deine Kinder Architekten?
Nein. Wenn ich an mich zurückdenke, war es so: Mein Vater wollte, dass ich Koch werde, und ich bin dankbar, dass ich das nicht gemacht habe. Ich möchte einfach, dass meine Kinder das werden, was ihnen Spaß macht. Wenn sie das glücklich macht, ist alles gut. Mehr kann ich ihnen gar nicht wünschen.
Was ist deine Strategie für die nächsten Jahre?
Das werde ich oft gefragt. Die Wahrheit ist: Ich habe keine Strategie. Es gibt keine Fünf- und keine Zehnjahrespläne. Oder Vorgaben, was ich kaufe und was nicht. Ich mache, was mir langfristig sinnvoll erscheint. Genau so werde ich das auch in der Zukunft halten. Es kann sein, dass meine Partner und ich in zwei Jahren etwas ganz anderes machen und andere Themen bearbeiten – aber nur, wenn es nachhaltig Sinn hat.
Mag sein, aber ich würde drauf wetten, dass du schon die nächsten großen Projekte anschiebst.
Ich habe schon was vor, ja. Das eine ist der Bahnhof in Kehl, der jetzt in die nächste Phase geht. Ich habe über Jahre Grundstücke zukaufen können, sodass ich jetzt Handlungsspielraum habe.
Was hast du noch vor?
Wir planen ein Projekt, bei dem ein Hochhaus entstehen soll, was städtebaulich absolut sinnvoll wäre – und schon immer mein Traum war. Vielleicht geht’s jetzt. Mal gucken ...
Das letzte große Ziel des Architekten Jürgen Grossmann?
Es gibt noch so viele! Es kommen künftig viele spannende Projekte auf den Markt und wir arbeiten im Stillen an einigen wirklich großartigen Ideen. Aber die jetzt alle schon zu offenbaren, würde uns die Arbeit nur unnötig erschweren.
Interview: Ulf Tietge