Für die Chefs dieser Welt

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Aus der Werkshalle im Nachbarbau drängt der Lärm einer Säge, es riecht nach Lack und Holz. Hunderte Nadeln mit bunten Köpfchen stecken in der Weltkarte im Eingangsbereich der Müller Manufaktur in Bad Rippoldsau-Schapbach. Sie verteilen sich auf alle Kontinente. Las Vegas, Lima, Sydney, Johannesburg, Oslo. „Urlaubsziele?“, fragen wir Geschäftsführer Markus Hermann. „Nein! An diesen Orten stehen unsere Möbel.“ Unglaublich, aber wahr: Der Zwölf-Mann-Betrieb aus dem tiefsten Schwarzwald ist ein echter Global Player in der Produktion hochwertigster Holzmöbel für die Büroausstattung – vielleicht nicht mengenmäßig, wohl aber, was die zurückgelegten Kilometer angeht. Das war nicht immer so. Gegründet 1930 als Schreinerei Müller verließen jahrzehntelang einfache Türen, Fenster und traditionelle Holzmöbel für Ess-, Wohn- und Schlafzimmer die Werkshalle an der Fürstenbergstraße ...

 

„In die Produktion der Chefzimmermöbel sind wir fast ein bisschen zufällig hineingeraten“, erklärt Markus Hermann bei unserem Besuch in Bad Rippoldsau, diesem kleinen Ort mit seinen nur 2.200 Einwohnern, den man vielleicht noch als höchstgelegenes Mineral- und Moorbad des Schwarzwalds kennt – aber wohin man sich ansonsten eigentlich selten verirrt. However. Als der Wohn- wandhersteller Gwinner aus Pfalzgrafenweiler vor 30 Jahren begann, luxuriöse Büromöbel zu fertigen, wurde aus dem Schwarzwälder Schreinerbetrieb Müller ein Zulieferer. „Bis 2011 haben wir für Gwinner gebaut“, so Hermann. Dann die Trennung: Der große Partner zog sich in seinen ursprünglichen Geschäftsbereich zurück, Müller übernahm das Büromöbelgeschäft – und aus der Schreinerei wurde eine Manufaktur. Es begab sich zu dieser Zeit, dass auch Markus Hermann, der als Schreinermeister zwischenzeitlich in der Büromöbel- und Ladenbaubranche Erfahrung sammeln konnte, zu seinen Wurzeln, also zu Müller, zurückkehrte. Was er damals nicht ahnte: Fünf Jahre später sollte ihn das Schicksal zum Firmenchef machen – quasi über Nacht ...

 

„An einem Sonntag im Oktober 2016 bekam ich den Anruf, dass unser Firmenchef Wolfgang Müller bei einem Motorradunfall nahe seines Wohnhauses ums Leben gekommen war“, erzählt Hermann. Müllers Frau überlebte schwer verletzt. Markus Hermann, damals einziger Meister im Betrieb, konnte als Einziger die Geschäftsführung übernehmen. „Ich habe keine Sekunde gezögert und es nie bereut“, sagt er. „Meistens weiß man, was im Leben das Richtige ist.“ Hermann setzte den von Wolfgang Müller eingeschlagenen Weg fort, entwickelte die Manufaktur zu einem echten Experten auf dem Gebiet der Büromöbelproduktion – schickes Office-Design made im Schwarzwald!

 

Müller Manufaktur NEXT Markus Hermann

 

„Natürlich war das ein Riesenschritt für unseren Betrieb“, erklärt Hermann. „Früher kam ein Fax mit einer Bestellung, 14 Tage später war das Möbel fertig und die Rechnung wurde geschrieben. Da gab es weder einen echten Vertrieb noch ein richtiges Marketing.“ Dass das heute ganz anders ist, erleben wir beim Rundgang durch die Produktionshalle, in der heute in wochenlanger Arbeit ganze Chefzimmer, Empfangsbereiche und Konferenzlösungen hergestellt werden. Hier wird gehobelt, gesägt, besprüht und geleimt. „Es wäre gelogen zu behaupten, dass alle unsere Hölzer aus dem Schwarzwald kommen. Natürlich arbeiten wir auch mit Exotenholz aus anderen Teilen der Welt. Selbst die Eiche stammt heute teilweise aus der Ukraine oder Kasachstan“, erklärt Hermann – wohl aber zertifiziert und nachhaltig geschlagen.

 

An einem langen Arbeitstisch steht Stefan Müller und leimt Furniere zusammen. Nebeneinander schiebt er die einzelnen Blätter in eine große Maschine, die sie zusammengeklebt wieder verlassen. Anschließend wiederholt der Schreiner den Vorgang mehrfach, bis ein großes Blatt entsteht. „Das ist ein bisschen wie Kuchen backen“, sagt er. „Das Furnier wird später unter 85 Grad auf eine Holzplatte gebacken. Zum Beispiel als Platte für einen Schreib- oder Konferenztisch.“ Auf diese Weise kann man Möbeln einen edlen Look verpassen, ohne dass die gesamte Platte aus seltenem Holz hergestellt werden muss – was technisch oftmals sogar Nachteile hätte. Um den finalen Schliff der Bauteile kümmert sich dann – im wahrsten Sinne des Wortes – Mathias Andrä. Mit Schleif- und Poliergerät bringt er einzelne Holzteile auf Hochglanz. „Fasse Sie mol an“, fordert er uns in breitem Schwarzwälderisch auf, ehe unsere Hände über eine spiegelglatte Holzoberfläche fahren.

Müller Manufaktur NEXT Werkstatt

 

Kernstück der Produktionshalle ist aber nicht Andräs Schleifbock, sondern die aus Italien stammende Fünf-Achs-CNC, die selbst bei großen Schnittdimensionen millimetergenau bohrt und fräst. Dank ihr kann auch auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden. Das geschieht selbst dann noch, wenn die Stücke so gut wie fertig sind: Beispielsweise, wenn sich ein Kunde ein technisches Gimmick wünscht – einen versenkbaren Bildschirm, ein elektronisches Schloss oder Ähnliches.“ Der Produktionsdurchlauf beträgt in der Regel vier bis sechs Wochen Je nach Ausstattung kosten die Stücke zwischen 2.000 und 8.000 Euro. Mit der Umstellung auf hochpreisige Ware hat sich in den vergangenen Jahren natürlich auch die Kundenstruktur der Manufaktur gewandelt. „Früher waren neben den Privatkunden die Banken unsere wichtigsten Abnehmer, heute sind es eher Personen im repräsentativen Bereich: Bürgermeister, Anwälte, Notare, Steuerberater, Geschäftsführer, Vorstände.“

 

Für sie bedient man bei Müller alle Wünsche: Von der Empfangstheke über den Arbeitsplatz vom Chef bis zum Konferenztisch „Letztendlich produzieren wir Statussymbole. Ein edler Schreibtisch bildet in gewisser Weise immer auch die Corporate Identity des Unternehmens ab“, findet Hermann. Und mit einem repräsentativen Konferenztisch könne man als Unternehmen zeigen, in welcher Liga man spielt und daran auf Augenhöhe entsprechende Deals abschließen.

 

Apropos Liga: Dass die Müller Manufaktur mit nur zwölf Mitarbeitern auskommt, ist am Markt auch ein Vorteil. „Wir konkurrieren in Baden-Württemberg insbesondere mit zwei Unternehmen“, erklärt Hermann – beides echte Großbetriebe. „Die lassen sich die Schreinerarbeiten entweder zuliefern oder sind schon schlicht wegen ihrer Größe viel weniger fl exibel als wir.“ Auch die Lage mitten im Schwarzwald muss kein Nachteil sein. „Natürlich ist die Logistik nicht einfach, da wir mindestens 40 Minuten bis zur nächsten Autobahn brauchen. Aber die Speditionen kommen auch zu uns ins Tal“, sagt Hermann lachend. „Außerdem ist es einfacher, gute Mitarbeiter zu halten, wenn Bosch und Daimler nicht in unmittelbarer Nachbarschaft liegen.“ Teamgeist, Flexibilität und die Treue der

Mitarbeiter sind Hermann auch während der Corona-Krise zugutegekommen. „Wir haben das glücklicherweise gut ausgestanden. In diesem Jahr konnte das Unternehmen seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent steigern.

 

In den Bereichen Marketing, Vertriebslösungen, Netzwerkkooperationen und Soziale Netzwerke steht der Müller Manufaktur übrigens die Krespach Group zur Seite. Wir haben verstanden: Heute geht ohne schicke Fotos und eine proaktive Vermarktung über moderne Kommunikationskanäle nichts mehr“, sagt Markus Hermann. „Ich bin dadurch fast schon selbst zum Social-Media-Freak geworden!“

 

 

Text: Patrick Czelinski

Fotos: Dimitri Dell